Für diesen Blogbeitrag habe ich eine Kollegin aus Osnabrück eingeladen.
Prof. Dr. Melanie Kubant forscht seit Jahren rund um das Thema gendersensible Erziehung und hat dieses Thema für dich kurz beschrieben. Ich freue mich sehr, mit Melanie eine Expertin gefunden zu haben, die über gendersensible Erziehung reden und schreiben kann, ohne dabei vorwurfsvoll oder fanatisch zu sein. Gleichzeitig schafft sie es, die relevanten Aspekte anzusprechen und uns Eltern ins Bewusstsein zu holen.
Für mich ist dieses Thema immer wieder spannend, denn gerade die Fragen, wann geht es darum, die Unterschiede zwischen Geschlechtern bewusst hervorzuheben und dadurch auch zu bestärken und wann will ich genau das nicht? Und dann natürlich immer auch: und wie mache ich das dann? Beschäftigen mich schon seit vielen Jahren (und eine klare Lösung habe ich bis heute nicht ;-)).
Gendersensible Erziehung: wie und wo fange ich als Elternteil an?!
von Melanie Kubandt
Wer kennt sie nicht, die Vorurteile „Mädchen sind so, Jungen sind so“?! Möchte man als Eltern nicht in die typischen Stereotypen verfallen und stattdessen auf eine gendersensible Erziehung achten, macht es auf jeden Fall Sinn, zunächst bei sich selbst anzufangen.
Denn wir als Erwachsene leben Kindern und schon Säuglingen von Anfang an meist unbewusst geschlechtliche Rollenvorstellungen vor und tragen auch stereotype Erwartungen direkt an die Kinder heran.
Selbstreflexivität für die eigenen geschlechtlichen Rollenvorstellungen von Eltern- und Kindsein spielt daher eine besonders wichtige Rolle, wenn man Stereotype nicht verfestigen möchte.
Manchmal fängt das schon beim Loben an: wen lobe ich für was und für was nicht? Und welche Botschaft vermittele ich dadurch an die Kinder? Das heißt, selbst vermeintlich positive Interaktionen können stereotypes Verhalten und auch Unterschiede zwischen Geschlechtern indirekt verstärken.
So weiß man bspw. aus Studien, dass Mädchen in der Regel schon sehr früh für
Äußerlichkeiten gelobt werden und Jungen für ihre Fähigkeiten. Ein solches Lob sendet dann schon früh Signale an die Kinder, welche Eigenschaften und/oder Verhaltensweisen besonders erwünscht sind und welche eher weniger.
Ein Phänomen, das ich im Zusammenhang mit gendersensibler Erziehung und Bildung häufig in meinen Forschungsstudien beobachtet habe, ist, dass es oftmals leichter fällt, Geschlechterstereotype auf Ebene von konkreten Angeboten und Materialien zu vermeiden. So kann man bei Kleidung, Spiel und Büchern mittlerweile auf viele alternative Möglichkeiten und Materialien zurückgreifen, die dabei helfen können, Stereotype bewusst aufzubrechen. Aber gerade in alltäglichen Interaktionen kann es trotz einer Sensibilisierung für das Thema immer wieder zu stereotypen Zuschreibungen an die Kinder kommen. Zum Beispiel, wenn es heißt „Sophie, sei bitte brav und lieb!“ oder „Lukas, toll wie stark du bist!“ Dass wir im Grunde wieder und wieder in entsprechende Genderfallen tappen, fällt uns Erwachsenen im Alltag oftmals gar nicht mehr auf. Daher rate ich dazu, als Eltern untereinander zu vereinbaren, sich im ganz normalen Familienalltag immer wieder mal gegenseitig bspw. eine Woche lang zu beobachten und dann darüber auszutauschen, was gegenseitig aufgefallen ist. Dabei lassen sich sowohl eigenes stereotypes Verhalten als auch einengende Erwartungen an die eigenen Kinder beobachten. Denn zu allererst heißt gendersensible Erziehung auch selbst als Eltern mit gutem Beispiel voranzugehen.
Das „Problem“ ist zudem meist gar nicht so sehr die Bereitschaft, sich mit dem Thema auseinander zu setzen, sondern oftmals die für Eltern offene Frage, wann geschlechtliche Zuschreibungen eigentlich problematisch sind und wann nicht. Das hat ganz viel damit zu tun, dass viele Ansätze zu Geschlechtergerechtigkeit häufig entweder für geschlechtsspezifische Angebote oder für eine Neutralisierung plädieren. Diese beiden unterschiedlichen Strategien zeigen sich bspw. auch in geschlechtergerechter Sprache: die einen sagen bspw. „Lehrkräfte“ sei gerechter, die anderen plädieren für die Bezeichnung „Lehrer*innen“: einmal tritt Geschlecht in den Hintergrund, beim anderen Fall wird es besonders betont. Selten werden die beiden Möglichkeiten Neutralisierung oder Differenzierung als sich ergänzende Alternativen gedacht. Die Gratwanderung ist es tatsächlich, ganz individuell Geschlechtsidentitäten zu bestärken, ohne sie basierend auf kollektivierenden Vorstellungen von „Mädchen- und Jungensein“ statisch festzulegen und zu werten.
So werden kollektivierende Vorstellungen wie bspw. „Mädchen sollen hübsch, lieb und nett sein“ und „Jungen brauchen einfach viel Bewegung und sind eben wild“ einzelnen Kindern niemals gerecht, sondern engen individuelle Ausprägungen der ganz eigenen Persönlichkeiten jeden Kindes völlig ein.
Das gilt dann nicht nur für Geschlechtsidentitäten als Junge/Mädchen, sondern für alle gleichermaßen auch jenseits von Zweigeschlechtlichkeit. Denn unsere Vorstellungen von Geschlechtern sind trotz aller gesellschaftlichen Entwicklungen nach wie vor eher einengend, und zwar für alle, egal ob Kinder oder Erwachsene.
Alles in allem ist es daher wichtig, sich bewusst zu machen, dass Geschlechterstereotypen nicht der Realität entsprechen und dass es von Bedeutung ist, individuelle Unterschiede zu respektieren. Wenn Unsicherheiten vorherrschen, kann es auch hilfreich sein, mit anderen Eltern über die Möglichkeiten und individuelle Wege einer gendersensiblen Erziehung und Bildung zu sprechen und sich gegenseitig Feedback zu geben, um ein besseres Verständnis für unterschiedliche Perspektiven und Möglichkeiten zu entwickeln.
Einen einzig wahren Weg gibt es nicht, die ersten Schritte in die richtige Richtung sind aber getan, wenn Eltern
sich eigene geschlechtliche Zuschreibungen an die Kinder und Partner*in bewusst machen und versuchen, diese zukünftig zu vermeiden
sich ihrer eigenen Vorbildfunktion bewusst sind
bei Kleidung, Spielen und Büchern auf gendersensible Varianten achten
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